Verbindung auf Augenhöhe

Ich erinner mich genau, wie ich vor Jahren einmal zu meiner ältesten Schwester sagte: „Dein Sohn wird es doch gar nicht merken, ob und was ich ihm schenke, er wird doch erst eins:“


Und ich war davon überzeugt, dass ein Baby (und für mich waren Einjährige noch Babys), nichts tun können außer getragen werden, essen und verdauen, schreien und (das wusste ich natürlich noch aus dem Medizinstudium) so ein bisschen sitzen und krabbeln, vielleicht auch schon stehen und laufen.

Aber ganz egal, wie weit ein Kind motorisch in dem Alter wäre, ich war davon überzeugt, dass vom Kopf her und auch von der Persönlichkeit, da noch nicht viel sein konnte.

Wie habe ich mich geirrt.

Umgekehrt hatte ich jetzt ein Erlebnis mit einer lieben Freundin, die sich dafür geschämt hat, dass sie nicht wusste, was mein Sohn mit fast zwei kann oder nicht kann. Sie ist keine Mutter. Und ich dachte mir: Ja, vieles weiß man einfach nicht, wenn man keine Mutter ist. Aber das ist doch gar nicht schlimm! Das hab ich ihr dann auch gesagt. Warum sollen wir uns für etwas schämen, dass wir gar nicht wissen können, wenn wir es noch nicht erlebt haben?

Ganz egal ob du vor deiner Mutterschaft ein Kindermensch warst oder nicht, es ist auf jeden Fall alles anders, wenn du dein eigenes Kind hast. Da sind diese 9 Monate, in denen sich (ganz individuell erlebt) eine Verbindung aufbaut, die am Anfang ja noch ganz wörtlich da ist, schließlich ist das Kind in unserem Körper drin. Und wenn es dann heraus kommt, dann ist ändert sich die Verbindung, aber sie ist immer noch da.

Und jetzt kommt der Punkt: Wenn ich mein kleines Baby in den Armen halte, dann halte ich ein Wesen, das ganz und gar von mir abhängig ist. Das war es natürlich schon im Bauch, aber jetzt hat sich etwas verändert, denn hier ist nun wirklich ein eigenständiges Wesen. Ein Mensch. Ein fertiges kleines Menschlein, mit einem Körper und einer Seele.

Ja, da entwickelt sich noch ganz viel und trotzdem sage ich, an dieser Stelle ist das Menschlein fertig. Denn ein Neugeborenes hat schon eine Persönlichkeit, auch wenn du diese am Anfang noch nicht so gut sehen kannst. Ein Neugeborenes trägt in sich drin schon alles, was es braucht, um einen eigenen Weg gehen zu können. Und ich bin dafür da, Schritt für Schritt das kleine Wesen auf diesem Weg zu begleiten. Am Anfang ganz viel, und dann mit der Zeit immer weniger, beziehungsweise mit mehr Abstand.

Als mein Sohn da war und ich merkte, dass sich für mich viele Dinge im Leben geändert haben, habe ich angefangen zu lesen. Über Bedürfnisorientiertheit, attachement parenting, Kinder zu starken Menschen erziehen, unerzogen… Ich war auf der Suche, wie ich meiner neuen Rolle am besten gerecht werde. Was wollte ich für mich und mein Kind? Und was wollte ich auf keinen Fall?

Wie konnte ich diese kleine Person am besten unterstützen?

Was sich für mich da heraus kristallisiert hat, ist die Verbindung auf Augenhöhe. Da steckt für mich alles drin, was ich mir für meine Mutter-Sohn-Beziehung wünsche.

In einer Verbindung auf Augenhöhe sind sowohl mein Sohn als auch ich wertvolle Menschen, mit einer eigenen Persönlichkeit, eigenen Bedürfnissen und Gefühlen und einer eigenen Meinung. Zwischen uns ist kein einseitiges Band im Sinne von ich weiß alles und mein Sohn muss mein Wissen aufnehmen und so handeln, wie ich das für richtig halte, sondern wir lernen voneinander.

Ich lerne die Welt ganz neu zu betrachten und gebe umgekehrt weiter, was ich denke, was er brauchen kann.

Ich führe und leite, soweit er das für die Erfüllung seiner Bedürfnisse braucht, ich zeige ihm, wie wir in Gemeinschaft zusammenleben, und er füllt diesen Rahmen mit seinen eigenen Ideen und Vorstellungen und bringt mich umgekehrt immer wieder auf neue Wege, durchs Leben zu schauen und zu gehen.

Ich sehe meine Gefühle und Bedürfnisse und genauso seine und versuche, gemeinsam mit ihm, ganz nach Alter, Strategien zu finden, wie wir alle unseren Platz und unseren Raum bekommen können.

Und, der für mich womöglich schwierigste Teil: Ich lege ihm soweit ich kann die Welt zu Füßen, aber lasse ihn selbst seinen Weg finden, auch wenn das viel Straucheln und Fallen und Wiederaufstehen bedeutet.

In Verbindung auf Augenhöhe stecken für mich Dinge, wie „Ich helfe dir, es selbst zu tun“, von Montessori. Darin steckt ein „ich sehe Dich als ganzen, fertigen Menschen“ drin, von der ersten Sekunde an, und versuche das Lernen zu vereinfachen, indem ich anbiete, was er in der jeweiligen Entwicklungsstufe gerade brauchen könnte.

In Verbindung auf Augenhöhe steckt für mich auch, dass ich Angst haben darf, weil ich mir eben nicht immer sicher bin, was ich tun muss. Dass ich Fehler machen darf, weil ich in meinem Wesen als Mensch gar nicht perfekt sein kann. Dass ich Gefühle haben darf und noch weiter, diese auch zeigen sollte, weil ein Kind eben am meisten durch Abschauen lernt und ich mir wünsche, dass auch mein Kind Gefühle zeigen kann.

In Verbindung auf Augenhöhe steckt für mich drin, dass ich authentisch bleiben will, dass ich genau wie mein Sohn eine eigene Persönlichkeit habe, die ich auch zeigen darf.

Nicht nur mein Sohn wächst in seiner Kindheit und lernt, auch ich tu das – jeden Tag. Wir gehen gemeinsam einen Weg. Einen Weg, auf dem ich von meiner eigenen Geschichte geprägt gehe. Einen Weg, auf dem ich ein Vorbild bin, weil ich die Ältere bin. Einen Weg, der plötzlich ganz anders aussieht, weil ich ihn immer wieder mit den Augen meines Sohnes sehen darf.

Verbindung auf Augenhöhe sorgt dafür, dass ich mich immer wieder selbst neu betrachte und hinterfrage. Mein Handeln für mich wie auch das meinem Kind gegenüber.

Und ich wünsche allen Eltern, dass sie vor allen Dingen die große Freude in diesen Dingen erleben können, die Dankbarkeit, die sich aus dieser einzigartigen Verbindung ins Herz schleicht und bei all den Schwierigkeiten, denen wir unweigerlich immer wieder begegnen, vor allem die Liebe und das Glück sehen, die eine solche Verbindung einem beschert.

Und noch ein kleiner Nachsatz: Ob du nun ein Kind selbst geboren hast oder eines bei dir aufnimmst, spielt für die Verbindung auf Augenhöhe keine Rolle. Ob du Mutter oder Vater bist ebenso wenig. Wenn ich hier explizit von Müttern spreche, so liegt das daran, dass ich mich darauf fokussiere, aber das schließt alles andere nicht aus. Wenn ich hier davon spreche, wie es mit Schwangerschaft und Geburt war, dann eben, weil ich das selbst erlebt habe und nicht weil das eine besser oder schlechter ist.

Wenn ich hier von Geschlechtern irgendeiner Art spreche (ob Kind oder Eltern oder …) so schließe ich niemals eine Diversität aus. Ich wünsche mir, dass du, wer immer du auch bist, dich hierdrin wiederfinden kannst, ohne das Worte die ganze wundervolle Breite abdecken, die es auf der Welt gibt.

Und wo ich gerade beim Wiederfinden bin: Einen Weg zu gehen als Eltern ist etwas ganz individuelles, so individuell wie eben jeder Mensch ist. Was ich dir hier schreibe, davon kannst du dir ganz raussuchen, was für dich richtig ist. Wenn du Dinge anders machst (und ich bin mir sicher, dass das an vielen Punkten immer wieder so sein wird), dann ist das dein Weg und damit weder besser noch schlechter als mein Weg. Es geht nicht um Bewertung oder ein: Ich mache das so, also ist nur das so richtig, sondern um Ideen, die ich dir mit auf den Weg geben möchte. Ein Angebot sozusagen. Was du dir davon nimmst, entscheidest du.

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